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„Dr. Jans! – Aus der Lebensgeschichte des Arztes Dr. Johannes Gärtner

dargelegt aus alten Unterlagen von Paul Brockhoff

Als Johannes Gärtner, von der Bevölkerung „Dr. Jans“ genannt, 1846 nach Ochtrup kam, gab es hier kaum nennenswerte ärztliche Betreuung. Wollte sich jemand zur Ausübung der Heilkunde niederlassen, bedurfte er der obrigkeitlichen Genehmigung. Seinerzeit gab es noch keine Krankenkassen, so dass praktisch alle Aufwendungen der gesundheitlichen Betreuung jeder selbst bezahlen musste. Auf Ochtrup bezogen war die wirtschaftliche Situation um 1850 ungünstig. Zwar verfügten, mit wenigen Ausnahmen, die Bürger über Grundeigentum, aber das Geld war sehr knapp.

Es bestand also keine Veranlassung, sich in Ochtrup als Arzt um eine Niederlassung zu bemühen und wenn dies geschah, nur unter der Bedingung, auf die in der Regel der Magistrat von Ochtrup nicht eingehen wollte. Sich bewerbende Ärzte bestanden auf der Garantie eines Fixums. Aufgebracht werden sollte diese Summe durch den Armenfonds, die Kommunalkasse und freiwilligen Substriktionen. Als Begründung wurde angegeben, dass erfahrungsgemäß die ärztlichen Gebühren in den ersten Jahren wenig bezahlt und die Anlage einer Hausapotheke viel Geld erforderlich machen würde. Zugesagt werden musste, und darauf bestand der Magistrat, eine kostenlose Behandlung der Ortsarmen.

Hinzu kam noch, dass Ochtrup sich seit 1833 um die Zulassung einer Apotheke bemühte, aber die Anträge bei der königlichen Regierung in Münster auf wenig Verständnis stießen und abgelehnt wurden, obwohl die Stadt damals schon ca. 5300 Einwohner zählte.

Die Vorgänger von „Dr. Jans“ fristeten somit schlecht und recht in Ochtrup ihr Dasein. Sie gaben bald ihre Praxis auf und verzogen oder wurden selbst krank und konnten ihren Pflichten nicht mehr nachkommen. Dies waren der Chirurg Alois Wesemann (1805), der Wundarzt II. Klasse Christof Hoppe (1818), Chirurg Wessendorf (1832), Wundarzt I. Klasse Becker (1839) und der Chirurg II. Klasse Stegt (1846). Mit „Dr. Jans“ Niederlassung in Ochtrup änderten sich die Verhältnisse. Sie wurden begünstigt durch die Industrialisierung, wie z. B: durch die Gründung der Fa. Gebr. Laurenz in 1854.

Johannes Gärtner wurde am 15. Januar 1815 in Münster geboren. Er war der Sohn des Schneidermeisters Friedrich Anton Gärtner aus Ebbinghausen und Elisabeth geb. Große Wahlert aus Hohenholte. Seine beiden Geschwister starben früh. Er selbst besuchte die Aegidischule in Münster, kam 1829 auf das Gymnasium und verließ dieses mit der mittleren Reife, um die medizinisch- chirurgische Lehranstalt, ebenfalls in Münster, zu besuchen. Nach drei Jahren erfolgte der Abschluß als Militärchirurg. “Dr, Jans“ diente dann bei der Artillerie. 1841 bestand er die Prüfung als Wundarzt II. Klasse, wurde am 1. Mai 1842 nach Berlin an das medizinisch- chirurgische Friedrich- Wilhelm- Institut abkommandiert, wo er die Prüfungen als Wundarzt I. Klasse und als Geburtshelfer ablegte. Damit besaß er alle Voraussetzungen für die Ausübung einer ärztlichen Praxis. Bis zum 1. Mai 1845 war er Militärarzt in Wesel, quittierte dann diesen Dienst und ließ sich zunächst in Nienborg nieder. In dieser Zeit legte er noch die gerichtsärztliche Prüfung ab, bevor er 1846 nach Ochtrup kam.

 

Dr. Johannes Gärtner heiratete am 27. März 1847 Jenny Dahme, Tochter eines Kanzleirates beim Kriminalgericht in Münster. Aus dieser Ehe mit Jenny Dahme stammen drei Söhne, der jüngste starb in jungen Jahren, der zweite Sohn Gustav wurde Jurist und war längere Zeit Landrat des Kreises Ahaus und später Oberregierungsrat. Der älteste Sohn, August Gärtner, war zunächst Marinearzt und später Geheimrat, Prof. Dr. med. et phil. h.c. an der Universität Jena, Altmeister der Hygiene, Ehrenbürger der Stadt Ochtrup und Jena. Die beiden Brüder heirateten zwei Schwestern Pross, Enkelinnen des C. Pross, der von 1807 – 1834 Bürgermeister von Ochtrup war.

Dr. Jans wohnte zunächst bei Jude Heimann hinter der Kirche (im Dachgeschoss, jetzt Hubertusheim). Es bestand eine gute häusliche Gemeinschaft. Als die Kinder August, Gustav und Hugo kamen, reichte die Wohnung nicht mehr aus und die Familie verzog zur Bergstraße. Etwas später kaufte sich „Dr. Jans“ ein altes Haus, das abgebrochen wurde. An seiner Stelle entstand ein Neubau. Es lag an der jetzt verschwundenen Straße , die zum alten Pastorat führte. Nach dem Tode von „Dr. Jans“ wurde dieses, ebenso wie das Pastorat, an Hermann Laurenz verkauft. An dieser Stelle, der alten Villa, steht heut die Volksbank. Nach den Akten des Amtsarchivs war „Dr, Jans“ ein tüchtiger, strebsamer und gut gelittener Arzt. – Wie aber sah seine Praxis in Ochtrup aus?

„Dr, Jans“ praktizierte auch nicht nur hier, sondern auch in Langenhorst, Welbergen, Wettringen, Metelen, Epe, Nienborg und Heek. Nicht selten wurde er auch nach Gronau, sogar über Glanerbrück nach Enschede geholt; und hier war er besonders als Geburtshelfer tätig. Als solcher, so berichtete sein Sohn August, hatte er einen besonders guten Namen. Die Besuche in den umliegenden Orten fielen regelmäßig auf die Nachmittage. Viele, viele Jahre sind diese zu Fuß gemacht worden. Später wurde ein Pferd mit einem leichten Wagen angeschafft. Von Epe und Nienborg kam „Dr, Jans“ fast nie vor 23- 24 Uhr zurück. Wenn noch offen war, kehrte er bei „Wilmink up´n Wall“ ein und trank ein Glas „Warmbeer met Sukker“. Er trank allerdings sehr wenig und rauchte auch nicht. Das Essen fand er zu Hause vor, es war in das Bett (Kochkiste) gesetzt worden.

Morgens hielt er in Ochtrup seine Sprechstunden. Die Partienten warteten in der Küche. Die von weit herkommenden  Leute erhielten beim langen Warten auf „Dr, Jans“ zum Trost einen „Oallen Kloaren“. Die Praxis war gut, aber mit der Bezahlung haperte es oft. Geld hatten nur wenige in seinem Bezirk und es dauerte meist mehr als ein Jahr, bis die Rechnungen, die von der Ehefrau und den Söhnen in den Ferien und um Weihnachten herum geschrieben wurden, bezahlt waren. Vielfach erfolgte die Begleichung durch Nahrungsmittel, wie z. B. durch Kartoffeln, Getreide, Schweinefleisch, Hühner und Eier. Im Herbst gab es auch Hasen in großer Zahl, so berichtet Sohn August, allerdings waren diese wohl in der Mehrzahl gestrickt, also mit Schlingen gewildert worden.

Neben dem Töpferhandwerk war Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Hausweberei in Ochtrup stark vertreten. Vor dem Laurenz`schen Hause, an der heutigen Bergstraße, standen oft mächtige Rollen mit aufgespultem Garn. Dieses wurde an die Hausweber abgegeben und kam dann als gewebte Ware, in der Hauptsache Kattun und Nessel, wieder hierher zurück. Wollwaren wurden in Metelen hergestellt. Auch diese Waren bekam „Dr, Jans“ oft als Gegenleistungen für seine ärztliche Betreuung. Als sein Sohn, der spätere Prof. Dr. August Gärtner, zur ersten hl. Kommunion kam, trug er eine blaugraue Hose, einen braunen Rock, eine grüne Samtweste, - alles Stoffe aus Metelen – und eine schwarze Mütze auf dem Kopf. Auch Brennmaterial, Holz und Torf wurde dem Arzt geliefert. So war der Haushalt billig und das eingenommene Geld konnte größtenteils gespart werden. Es wurde von „Dr, Jans“, z. B. auch per Handschlag zu 3 – 3 ½ % Zinsen, an tüchtige Bauern verliehen, die dasselbe benutzten, um ihre Ödländereien auf fruchtbares Ackerland umzustellen.

„Dr, Jans“ hatte seine ganze Kraft dem gesundheitlichen Wohl der Gemeinde gewidmet. Jahrzehntelang ist er aus seinem Arbeitsgebiet überhaupt nicht herausgekommen. Urlaub oder vergleichbare Erholungspausen gab es nicht. Er interessierte sich bei seinen Patienten nicht nur für die Krankheit, sondern besonders für den Menschen in ihm. Er war also „Hausarzt“ im besten Sinne des Wortes. Er kannte die Leute, und er kannte auch die Verhältnisse, in denen sie lebten.

Schwere Epidemien sind während der Zeit, als Dr Gärtner Arzt in Ochtrup war, nicht vorgekommen. Aber eine Krankheit, die alle anderen in den Hintergrund drängte, war die sogenannte „Uttiärung“, wie die Schwindsucht bzw. Tuberkulose damals genannt wurde. Westfalen war nach der statistischen Erhebung über die Tuberkulose (Kaiserliches Gesundheitsamt um 1884) die bei weitem am stärksten befallene Provinz; darin ganz besonders die nordwestlichen Bezirke mit den Kreisen Ahaus, Steinfurt etc.

Das war vor allem in den völlig darniederliegenden hygienischen Verhältnissen in dieser Region begründet. So hatte damals fast jedes Haus in der Weinerstraße, im Kniepenkamp und der Hinterstraße direkt neben der „Niendüöre“ seinen eigenen „Messpatt – Misthaufen“, während diese beispielsweise damals auf der Bült- und Bergstraße größtenteils schon verschwunden waren. Sehr schlimm waren auch die Wohnverhältnisse in den Bauernschaften. Überall waren noch Bettkästen vorhanden, in die kein Sonnenstrahl eindrang und kein frischer Luftzug hereinkam, da diese üblicherweise durch Vorhänge oder Schiebetüren abgekleidet waren. Dadurch war das Bettzeug praktisch immer feucht, zum Anwärmen der Betten diente die „Bettpann“. War nun ein Partner der in diesen Alkoven schlafenden Ehepaare oder eines der in solchen Bettkammern untergebrachten Kinder tuberkulös erkrankt, so war die Ansteckungsgefahr zwangsläufig riesengroß.

Bei dem gemeinsamen Leben der Erkrankten mit den Gesunden und in Unkenntnis über die Ansteckungsgefahren wurde die Krankheit auch in bessergestellte Familien übertragen, die nicht mehr in Bettkästen schliefen. So starb z.B. auch die erste Frau des „Dr. Jans“ an Tuberkulose, ebenso die zweite Frau und die Tochter Lina. Hilflos standen die Ärzte dieser Krankheit gegenüber. Erst als Prof. Robert Koch den Erreger der Tuberkulose und die Übertragung auch auf Gesunde entdeckte und die häuslichen Verhältnisse vieler Ochtruper besser wurden, ging die Krankheit stark zurück.

Erwähnt sei aber auch noch eine andere Krankheit, das sogenannte „Wechselfieber“. Diese trat aber immer nur im Herbst auf. Zu jener Zeit ging eine größere Zahl Ochtruper regelmäßig nach Holland zur „Grummeternte“ Kehrten sie gegen Ende des Herbstes zurück, brachten sie außer holländischen Gulden vielfach auch das „Wechselfieber“ mit. Das Chinin war damals zum Glück bereits als Heilmittel bekannt. „Dr. Jans“ verabreichte dieses in größeren Dosen, so dass die Erkrankten relativ schnell wieder genasen und Heilung erfuhren. Im Spätherbst fehlten außerdem die übertragenden Mücken, so dass die Krankheit nicht noch weiter auf Gesunde übertragen wurde.

Hartnäckige Vorstellungen des Amtmannes Balzer hatten 1861 erreicht, dass die königliche Regierung in Münster dem Apotheker A. Krauthausen zu Epe die Erlaubnis erteilte, in Ochtrup eine Filialapotheke zu eröffnen. Diese wurde unter Amtmann Schumann am 25. 8. 1890 in eine selbstständige Apotheke umgewandelt. Erster Eigentümer der jetzt noch bestehenden Adler- Apotheke, heute „Alte Stadtapotheke“, war der Apotheker Ohm. Und dieser Tatbestand war für die weitere ärztliche Betreuung der Bevölkerung von Ochtrup von wesentlicher Bedeutung.

Auch die ersten Anfänge einer Sozialversicherung sind damals bereits vorhanden gewesen. So existierte um die 80er Jahre des v. Jh. in Ochtrup eine Gemeindekrankenkasse (nicht zu verwechseln mit der Gemeindearmenkasse) sowie die Fabrikkrankenkasse der Firma Gebr. Laurenz.

Als Johannes Gärtner nach 40jähriger Tätigkeit in Ochtrup am 16.7.1886 starb, war die stürmische wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung noch in vollem Gange.

Wenn „Dr. Jans“ auch schon als Arzt großes Ansehen genoss, so wuchs der Ruf seines Sohnes August noch weit über ihn hinaus.
Die Erinnerung an beide ist in Ochtrup durch die „Prof-Gärtner-Straße" wachgehalten.

 

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