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Reichsprogromnacht in Ochtrup

 Ludger Bügener

 

„Erbaut im Jahre 1938, als Adolf Hitler Großdeutschland schuf“. Das stand in erhabenen Buchstaben auf dem Schlussstein des Sandsteinportals der Schule Wester 1, später Schule im Lau, in die ich drei Jahre später eingeschult wurde. Kurz nach Wiederbeginn des Schulunterrichts im September 1945 wurde dieser Satz weggemeißelt.

Bis heute sind die nationalsozialistisch eingefärbten  Parolen über dem Eingang des inzwischen privaten Gebäudes in Großbuchstaben zu lesen  „Wissen ist Macht – Können ist Großmacht“. Wir Nordischen sind die Herrenklasse, der slawischen, der farbigen und der jüdischen Rasse weit überlegen. Davon waren die Nazi-Ideologen überzeugt, möglicherweise auch die Männer der SA, wenn sie aus vielfältigen Anlässen durch Ochtrup marschierten  mit den Liedern „Deutschland, Deutschland über alles…“ und „ Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen, SA marschiert“.  Und manchmal halte auch der Ruf „ Deutschland erwache, Juda verrecke“ durch die Innenstadt.

Erfreut dürfen wir feststellen: Bei allen demokratischen Wahlen blieb die NSDAP in Ochtrup nur eine Minderheit.

An einem wolkenlosen, sonnigen Novembertag erfuhr die Bevölkerung, dass der deutsche Legationssekretär Ernst von Rath in Paris den Schüssen des 17jährigen Herschel Grünspan erlegen war. Dieses Ereignis des 9. November bildete den Vorwand für die schon lange geplanten Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung. Der Plan: Wir wollen in unserem Machtbereich die Juden ausrotten und damit auch an Ihr Geld, ihr Vermögen kommen, dass die Nazis angesichts der Staatsverschuldung vor allem wegen hoher Rüstungsausgaben dringend brauchten.

Mit dem Fernschreiben der Geheimen Staatspolizei aus Berlin  um 23.35 Uhr wurde der Progrom in Bewegung gesetzt: „Es werden in  kürzester Frist in ganz Deutschland Aktionen gegen Juden , insbesondere gegen die Synagogen stattfinden. Sie sind nicht zu stören“. Innerhalb von 48 Stunden wurden 1400 Synagogen und Bethäuser verwüstet, die meisten in Brand gesetzt, über 750 Geschäfte geplündert, 91 Juden ermordet und über 20000 verhaftet. Das Bethaus in Ochtrup und die Synagoge in Drensteinfurt wurden nicht angezündet, weil sie in Häuserzeilen standen und keine Nachbargebäude in Brand gesetzt werden sollten. Es gab die Anweisung an die örtlichen SA-Gruppen, möglichst in Nachbarkommunen tätig zu werden. So schlugen Ochtruper SA-Männer in Bad Bentheim und  Gildehaus zu. SA-Trupps aus Burgsteinfurt und Bad Bentheim  haben mit Unterstützung von SA-Männern aus Ochtrup  die Inneneinrichtung des Bethauses am Kniepenkamp gründlich zerstört, Betschemel zertrümmert, Kerzenleuchter zerschlagen, die Thorarollen mit den Texten des alten Testamentes auf die Straße geworfen, die Häuser ehrenwerter Mitbürger unbewohnbar gemacht. Aus einem Haus wurde das Klavier kurzerhand aus dem Fenster auf die Straße gestürzt. Wie Zeugen berichten, liefen am nächsten Tag jüdische Kinder weinend durch die Straßen ihrer Heimatstadt.

Wir dürfen die Namen der 40 Ochtruper Bürger nicht vergessen, die in den KZs Auschwitz, Minsk, Sachsenhausen und Sobibor umgebracht wurden: van Bingen, Goldsteen, Gottschalk, Hamburger, Lebenstein, Loewenberg, Portje, Terhoch und Wejl. Nur wenige konnten entkommen.

Manche Bürger Ochtrups haben angesichts der schlimmen Progromereignisse weggeschaut, andere haben geholfen, solange sie es konnten. Wieder andere hatten schlicht die Wut auf die Täter, wie die Bäuerin aus der Wester, die sich mutig weigerte ,für ihr sechstes Kind das deutsche Mutterkreuz in Silber im Rahmen einer Feierstunde aus dem Rathaus abzuholen: „Ich pfeif auf dieses Kreuz von Leuten, die so grausam mit den Juden umgehen“. Der Sänger Wolfgang Niedecken hat wiederholt erklärt :Wir brauchen nicht so sehr Wut-Bürger, sondern mehr Mut-Bürger, Menschen, die sich in Wort und Tat für Gerechtigkeit einsetzten. Vom Mord an 6 Millionen Juden hören, das gefällt nicht allen Deutschen.

 Angesichts der derzeitigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen ist der Kommentar der Westfälischen Nachrichten  vom 24. Juli 2014 bedenkenswert: Natürlich darf man die Politik des Staates Israel scharf kritisieren- auch als Deutscher. Unerträglich ist es  aber, wenn Juden auf den Straßen wieder angepöbelt, bedroht und angegriffen werden- 70 Jahre nach der Shoa. Es ist eine Schande für unser Land, wenn Juden hier nicht genauso sicher  und geborgen leben können wie Christen und Muslime. Wo bleibt der Aufstand der Anständigen?

Es ist dankenswert, dass schon vor Jahren in Ochtrup sogenannte Stolpersteine in Erinnerung an die in KZs ermordeten jüdischen Ochtruper verlegt wurden. Und ich meine, dass am Kniepenkamp eine würdige Erinnerung an das Jüdische Bethaus geschaffen wurde.

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